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Lieber ein Narr sein auf eigne Faust, als ein Weiser nach fremdem Gutdünken! (Friedrich Nietzsche)


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Die fröhliche Wissenschaft

(Friedrich Nietzsche)

Rubrik: Aphorismen

Eine Sammlung der Aphorismen aus Nietzsches Werk „Die fröhliche Wissenschaft“ von 1882, die mich berührten oder in denen ich zumindest ein Stück „meiner“ Wahrheit finden konnte:
  • Wir wissen es, die Welt, in der wir leben, ist ungöttlich, unmoralisch, „unmenschlich“, – wir haben sie uns allzulange falsch und lügnerisch, aber nach Wunsch und Willen unsrer Verehrung, das heisst nach einem Bedürfnisse ausgelegt.
  • Vor der Wirkung glaubt man an andere Ursachen, als nach der Wirkung.
  • Am deutlichsten aber verräth sich die Liebe der Geschlechter als Drang nach Eigenthum: der Liebende will den unbedingten Alleinbesitz der von ihm ersehnten Person, er will eine ebenso unbedingte Macht über ihre Seele wie ihren Leib, er will allein geliebt sein und als das Höchste und Begehrenswertheste in der andern Seele wohnen und herrschen.
  • Jeder ist sich selber der Fernste.
  • Eine Verbesserung erfindet nur Der, welcher zu fühlen weiss: „Diess ist nicht gut“.
  • Er hält aus Trotz an einer Sache fest, die ihm durchsichtig geworden ist, – er nennt es aber „Treue“.
  • Die Liebe vergiebt dem Geliebten sogar die Begierde.
  • Je stumpfer das Auge, desto weiter reicht das Gute! Daher die ewige Heiterkeit des Volkes und der Kinder! Daher die Düsterkeit und der dem schlechten Gewissen verwandte Gram der grossen Denker!
  • Dieser Künstler ist ehrgeizig und Nichts weiter: zuletzt ist sein Werk nur ein Vergrösserungsglas, welches er Jedermann anbietet, der nach ihm hinblickt.
  • Jener Trieb, welcher in den höchsten und gemeinsten Menschen gleichmässig waltet, der Trieb der Arterhaltung, bricht von Zeit zu Zeit als Vernunft und Leidenschaft des Geistes hervor; er hat dann ein glänzendes Gefolge von Gründen um sich und will mit aller Gewalt vergessen machen, dass er im Grunde Trieb, Instinct, Thorheit, Grundlosigkeit ist.
  • Wer mit sich unzufrieden ist, ist fortwährend bereit, sich dafür zu rächen: wir Anderen werden seine Opfer sein, und sei es auch nur darin, dass wir immer seinen hässlichen Anblick zu ertragen haben. Denn der Anblick des Hässlichen macht schlecht und düster.
  • Vielleicht kennst du Menschen in deiner Nähe, die sich selber nur aus einer gewissen Ferne ansehen dürfen, um sich überhaupt erträglich oder anziehend und kraftgebend zu finden; die Selbsterkenntnis ist ihnen zu widerrathen.
  • Das Gebet ist für solche Menschen erfunden, welche eigentlich nie von sich aus Gedanken haben und denen eine Erhebung der Seele unbekannt ist oder unbemerkt verläuft.
  • Man hört nur die Fragen, auf welche man im Stande ist, eine Antwort zu finden.
  • Corruption ist nur ein Schimpfwort für die Herbstzeiten eines Volkes.
  • Was sagt dein Gewissen? – „Du sollst der werden, der du bist.“
  • Der Mensch ist allmählich zu einem phantastischen Thiere geworden, welches eine Existenz-Bedingung mehr, als jedes andere Thier, zu erfüllen hat: der Mensch muss von Zeit zu Zeit glauben, zu wissen, warum er existiert, seine Gattung kann nicht gedeihen ohne ein periodisches Zutrauen zu dem Leben!
  • Das Bedürfniss gilt als die Ursache der Entstehung: in Wahrheit ist es oft nur eine Wirkung des Entstandenen.
  • Sei ein Mann und folge mir nicht nach, – sondern dir! Sondern dir!
  • Man träumt gar nicht, oder interessant. – Man muss lernen, ebenso zu wachen: – gar nicht, oder interessant.
  • Denn das Leben auf der Jagd nach Gewinn zwingt fortwährend dazu, seinen Geist bis zur Erschöpfung auszugeben, im beständigen Sich-Verstellen oder Ueberlisten oder Zuvorkommen: die eigentliche Tugend ist jetzt, Etwas in weniger Zeit zu thun, als ein Anderer.
  • Es ist in der Grossmuth der selbe Grad von Egoismus wie in der Rache, aber eine andere Qualität des Egoismus.
  • Wir können nicht um unsre Ecke sehn: es ist eine hoffnungslose Neugierde, wissen zu wollen, was es noch für andre Arten Intellekt und Perspektive geben könnte: zum Beispiel, ob irgend welche Wesen die Zeit zurück oder abwechselnd vorwärts und rückwärts empfinden können (womit eine andre Richtung des Lebens und ein andrer Begriff von Ursache und Wirkung gegeben wäre).
  • Der Glaube ist immer dort am meisten begehrt, am dringlichsten nöthig, wo es an Willen fehlt: denn der Wille ist, als Affekt des Befehls, das entscheidende Abzeichen der Selbstherrlichkeit und Kraft.
  • Kant wollte auf eine „alle Welt“ vor den Kopf stossende Art beweisen, dass „alle Welt“ Recht habe: – das war der heimliche Witz dieser Seele. Er schrieb gegen die Gelehrten zu Gunsten des Volks-Vorurtheils, aber für Gelehrte und nicht für das Volk.
  • Ein Intellect, der Ursache und Wirkung als continuum, nicht nach unserer Art als willkürliches Zertheilt- und Zerstücktsein, sähe, der den Fluss des Geschehens sähe, – würde den Begriff Ursache und Wirkung verwerfen und alle Bedingtheit leugnen.
  • „Lieber schuldig bleiben, als mit einer Münze zahlen, die nicht unser Bild trägt!“ – so will es unsere Souveränität.
  • Ich erkenne die Geister, welche Ruhe suchen, an den vielen dunklen Gegenständen, welche sie um sich aufstellen: wer schlafen will, macht sein Zimmer dunkel oder kriecht in eine Höhle. – Ein Wink für Die, welche nicht wissen, was sie eigentlich am meisten suchen, und es wissen möchten!
  • Nichts theilen wir so gern an Andere mit, als das Siegel der Verschwiegenheit – sammt dem, was darunter ist.
  • Wo eine tiefe Unlust am Dasein überhand nimmt, kommen die Nachwirkungen eines grossen Diätfehlers, dessen sich ein Volk lange schuldig gemacht hat, an's Licht.
  • Die Langsamen der Erkenntniss meinen, die Langsamkeit gehöre zur Erkenntniss.
  • Das fleissigste aller Zeitalter – unser Zeitalter – weiss aus seinem vielen Fleisse und Gelde Nichts zu machen, als immer wieder mehr Geld und immer wieder mehr Fleiss: es gehört eben mehr Genie dazu, auszugeben, als zu erwerben!
  • Die astrale Ordnung, in der wir leben, ist eine Ausnahme; diese Ordnung und die ziemliche Dauer, welche durch sie bedingt ist, hat wieder die Ausnahme der Ausnahmen ermöglicht – die Bildung des Organischen.
  • Der höhere Mensch wird immer zugleich glücklicher und unglücklicher.
  • Alle Dinge tief finden – das ist eine unbequeme Eigenschaft: sie macht, dass man beständig seine Augen anstrengt und am Ende immer mehr findet, als man gewünscht hat.
  • Gedanken sind die Schatten unserer Empfindungen, – immer dunkler, leerer, einfacher, als diese.
  • Es ist eine indianerhafte, dem Indianer-Bluthe eigenthümliche Wildheit in der Art, wie die Amerikaner nach Gold trachten: und ihre athemlose Hast der Arbeit – das eigentliche Laster der neuen Welt – beginnt bereits durch Ansteckung das alte Europa wild zu machen und eine ganz wunderliche Geistlosigkeit darüber zu breiten. Man schämt sich jetzt schon der Ruhe; das lange Nachsinnen macht beinahe Gewissensbisse. Man denkt mit der Uhr in der Hand, wie man zu Mittag isst, das Auge auf das Börsenblatt gerichtet, – man lebt, wie Einer, der fortwährend Etwas „versäumen könnte“.
  • Wo geherrscht wird, da giebt es Massen: wo Massen sind, da giebt es ein Bedürfniss nach Sclaverei. Wo es Sclaverei giebt, da sind der Individuen nur wenige, und diese haben die Heerdeninstincte und das Gewissen gegen sich.
  • Hüten wir uns, zu sagen, dass es Gesetze in der Natur gebe. Es giebt nur Nothwendigkeiten: da ist Keiner, der befiehlt, Keiner, der gehorcht, Keiner, der übertritt.
  • Die sogenannte industrielle Cultur in ihrer jetzigen Gestalt ist überhaupt die gemeinste Daseinsform, die es bisher gegeben hat.
  • Seht hin! Seht hin! Er läuft von den Menschen weg -: diese aber folgen ihm nach, weil er vor ihnen herläuft, – so sehr sind sie Heerde!
  • Das, was wir von uns selber wissen und im Gedächtniss haben, ist für das Glück unseres Lebens nicht so entscheidend, wie man glaubt. Eines Tages stürzt das, was Andere von uns wissen (oder zu wissen meinen) über uns her – und jetzt erkennen wir, dass es das Mächtigere ist. Man wird mit seinem schlechten Gewissen leichter fertig, als mit seinem schlechten Rufe.
  • Ich liebe die Menschen nicht, welche, um überhaupt Wirkung zu thun, zerplatzen müssen, gleich Bomben, und in deren Nähe man immer in Gefahr ist, plötzlich das Gehör – oder noch mehr zu verlieren.
  • Buddha sagt: „schmeichle deinem Wohlthäter nicht!“ Man spreche diesen Spruch nach in einer christlichen Kirche: – er reinigt sofort die Luft von allem Christlichen.
  • Was wir thun, wird nie verstanden, sondern immer nur gelobt und getadelt.
  • In jeder Religion ist der religiöse Mensch eine Ausnahme.
  • Wer sich tief weiss, bemüht sich um Klarheit; wer der Menge tief scheinen möchte, bemüht sich um Dunkelheit. Denn die Menge hält Alles für tief, dessen Grund sie nicht sehen kann: sie ist so furchtsam und geht so ungern in's Wasser.
  • Wie viel einer Glauben nöthig hat, um zu gedeihen, wie viel „Festes“, an dem er nicht gerüttelt haben will, weil er sich daran hält, – ist ein Gradmesser seiner Kraft (oder, deutlicher geredet, seiner Schwäche).
  • Hüten wir uns, zu sagen, dass Tod dem Leben entgegengesetzt sei. Das Lebende ist nur eine Art des Todten, und eine sehr seltene Art.
  • Nachdem Buddha todt war, zeigte man noch Jahrhunderte lang seinen Schatten in einer Höhle, – einen ungeheuren schauerlichen Schatten. Gott ist todt: aber so wie die Art der Menschen ist, wird es vielleicht noch Jahrtausende lang Höhlen geben, in denen man seinen Schatten zeigt. – Und wir – wir müssen auch noch seinen Schatten besiegen!
  • Hätte es nicht allezeit eine Ueberzahl von Menschen gegeben, welche die Zucht ihres Kopfes – ihre „Vernünftigkeit“ – als ihren Stolz, ihre Verpflichtung, ihre Tugend fühlten, welche durch alles Phantasiren und Ausschweifen des Denkens beleidigt oder beschämt wurden, als die Freunde „des gesunden Menschenverstandes“: so wäre die Menschheit längst zu Grunde gegangen!
  • Was ist das Siegel der erreichten Freiheit? – Sich nicht mehr vor sich selber schämen.
  • Das Gift, an dem die schwächere Natur zu Grunde geht, ist für den Starken Stärkung – und er nennt es auch nicht Gift.
  • Der Besitz wird durch das Besitzen zumeist geringer.
  • Mit Tönen kann man die Menschen zu jedem Irrthume und jeder Wahrheit verführen: wer vermöchte einen Ton zu widerlegen?
  • Nun giebt es seltenere Menschen, welche lieber zu Grunde gehen wollen, als ohne Lust an der Arbeit arbeiten: jene Wählerischen, schwer zu Befriedigenden, denen mit einem reichlichen Gewinn nicht gedient wird, wenn die Arbeit nicht selber der Gewinn aller Gewinne ist.
  • „Nur wenn du bereuest, ist Gott dir gnädig“ – das ist einem Griechen ein Gelächter und ein Aergerniss: er würde sagen „so mögen Sclaven empfinden“.
  • Jede Kunst, jede Philosophie darf als Heil- und Hülfsmittel im Dienste des wachsenden, kämpfenden Lebens angesehn werden: sie setzen immer Leiden und Leidende voraus.
  • Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: der Hang zur Freude nennt sich bereits „Bedürfniss der Erholung“ und fängt an, sich vor sich selber zu schämen.
  • Die Welt ist uns vielmehr noch einmal „unendlich“ geworden: insofern wir die Möglichkeit nicht abweisen können, dass sie unendliche Interpretationen in sich schliesst.
  • Wenn ihr wisst, dass es keine Zwecke giebt, so wisst ihr auch, dass es keinen Zufall giebt: denn nur neben einer Welt von Zwecken hat das Wort „Zufall“ einen Sinn.
  • Der christliche Entschluss, die Welt hässlich und schlecht zu finden, hat die Welt hässlich und schlecht gemacht.
  • Die mystischen Erklärungen gelten für tief; die Wahrheit ist, dass sie noch nicht einmal oberflächlich sind.
  • Wer zwischen zwei entschlossenen Denkern vermitteln will, ist gezeichnet als mittelmässig: er hat das Auge nicht dafür, das Einmalige zu sehen; die Aehnlichseherei und Gleichmacherei ist das Merkmal schwacher Augen.